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Hier kommt der völlig ungefilterte Director’s Cut dessen, was in meinem Kopf abgeht. Eigentlich hätte es mein freier Tag sein sollen, aber die Arbeit lässt mich nicht los. Ich bin auf der Suche nach einem neuen Namen für den Gehängten und mein Gehirn dreht durch.

Aber … Der ganze riesengroße lange wirre Umweg führt letztlich unerwartet an ein Ziel: Die Narrengeschichte wird geboren.

THERE’S STUFF INSIDE MY HEAD

Mein freier Tag

Ich denke nicht nur an Karten, ich denke in Karten. Ich drifte im völligen Wachzustand in fantastische Welten mit merkwürdigen Kreaturen ab.

Robin Hood, Rembrandt, der Blechmann, Gandalf, Schlumpfine, MacBeth und Schwendrick der Zauberer haben sich zur Teeparty beim verrückten Hutmacher eingefunden. Sie schauen nervös auf ihre verschiedenen Uhren, die alle überlaut ticken. Der Blechmann drückt die ersten Tränchen weg, weil er seine eingebaute Uhr nicht finden kann. Robin wird ob Schlumpfines Avancen langsam verlegen. Dass er aber auch immer den Helden spielen muss! Wo bleiben denn nur die anderen? Sie müssten doch schon längst hier sein. Tick-tack, tick-tack … Der Tee wird langsam kalt. Da fliegt die Tür zu des Hutmachers Höhle auf, Edmont Dantès presst zwischen zwei schweren Atemzügen ein »Pardon« hervor. Das Känguru hüpft herein, dicht gefolgt von einer sichtlich verärgerten Cleopatra und einem betreten dreinschauenden Tod, der mit seiner Sense am Türrahmen hängen bleibt, sich in seinem Umhang verfängt und tollpatschig wie immer gegen die gedeckte Tafel stolpert. Lauwarmer Tee spritzt durch die Luft, ein paar Bienen fliegen auf, zum Glück kommt Alice gerade aus der Küche und fängt die teure Teekanne in letzter Minute auf. Betretenes Schweigen. Tick-tack, tick-tack … Die Wanduhr hat etwas Tee abbekommen. Sie verläuft. Rembrandt schaut entsetzt auf diese triefende Entstellung der Realität. MacBeth steht auf: »Das kann so nicht weitergehen! Wir hatten uns auf Pünktlichkeit geeinigt!« Gandalf nickt zustimmend. Tod stammelt: »JA, ABER … DER PORTER HAT …« Alice versucht, die Wogen zu glätten: »Er wird schon seine Gründe haben, er ist doch sehr beschäftigt mit seinen Bienen und dem ganzen Business.« Banquo’s Ghost erscheint und meldet sich mit einem »Stimmt« zu Wort. MacBeth erbleicht. Cleopatra erhebt sich in ihrer ganzen Herrschaftlichkeit. Jetzt muss es raus. Alle wissen es, keiner sagt es. »Wir hatten uns nicht nur auf Pünktlichkeit, sondern auch auf Nüchternheit geeinigt. Du kannst nicht betrunken zur Teeparty erscheinen, wir haben hier Wichtiges zu besprechen. Ich hab’s in der Kutsche gerochen. Der Porter hat keinen guten Einfluss auf dich.« Schlumpfine fasst unter dem Tisch nach Robins bestrumpfhostem Oberschenkel und wispert mit Schlafzimmerblick »It provokes the desire, but takes away the performance«. Schwendrick hört ihre Stimme über das träge Ticken der verlaufenen Uhr lauter, als er möchte. Hat er es doch gewusst. Das Känguru zieht einen Flachmann aus seinem Beutel und schüttet etwas davon in seine Teetasse. »Wieso?« Als alle gleichzeitig zum Reden ansetzen, hören sie ein merkwürdiges, Unheil verkündendes Pochen. Die Uhren hören auf zu ticken. Die Bienen fliegen verängstigst in Tods Kapuze zurück. Close-up auf die Teetasse, in der sich bebende konzentrische Kreise bilden. Gandalf erfasst die Situation als Erster und schaut den Hutmacher an: »Nicht schon wieder. Du hast doch versprochen, du würdest das dämliche Ding im Wald bei den drei Eichen vergraben«. Der Hutmacher zückt verstohlen ein Kästchen von unter der Damasttischdecke hervor, er öffnet den Deckel langsam mit verklärtem Blick. Du-dum. Du-dum. Das Pochen wird lauter. Du-dum. »Aber … mein Schatzzzzz«. Der Arm des Blechmanns quietscht, als er die Hand ausstreckt und mit weit aufgerissenen Augen auf das Kästchen zeigt: »Ist das … Ist das etwa ein Herz?« Alice legt dem Hutmacher eine Hand auf die Schulter. »Jetzt gib es ihm doch endlich. Du weißt, dass es das Richtige ist.« Der Hutmacher überreicht dem Blechmann die reich verzierte Kiste und der Blechmann strahlt und quietscht vor Glückseligkeit. Endlich! Die Uhr tropft von der Wand, die Zeit steht still. Da fliegt die Tür mit einem Krachen auf, Pippi stürzt herein. »Sorry, Leute. Ich musste noch streichen und die Nudeln waren noch nicht gar und dann kam Huckleberry noch vorbei und es ging völlig drunter und drüber und leider hat der Affe meine Skizzen gefressen aber das iPad hab ich dabei und das Ladekabel auch und ich glaub ich hab unterwegs Banquo’s Ghost gesehen aber ist ja auch egal ihr seid ja alle schon da und wenn wir jetzt Gas geben können wir heute die Entwürfe fertigkriegen. Habt ihr schon angefangen? Hab ich was verpasst?«

Ich müsste dieser Arbeit eine endlos lange Liste Danksagungen voranstellen! Danke an alle, die sich jemals Geschichten und Figuren ausgedacht und sie zum Leben erweckt haben. Ich sitze immer noch an den Großen Arkana, versuche, ihre Bedeutung zu erfassen und mein Gehirn dreht durch.

Fußnote … Ich finde diese Dinge in meinem Kopf, deshalb gibt es hier keine Quellenangaben. Was behauptet oder zitiert ist, kann falsch sein.
Alle genannten Figuren sind geklaut und völlig aus ihrem Zusammenhang gerissen. Sogar Rembrandt, ich hatte da mal nen Roman gelesen, und Cleopatra, die nirgends besser portätiert wurde als in Asterix und Cleopatra.
»It provokes the desire, but takes away the performance« ist grob aus MacBeth zitiert, »mein Schatzzzzz« aus Herr der Ringe, »Ich bin der Geist, der stets verneint« aus Faust, »Es reibt sich mit der Lotion ein« stammt aus Schweigen der Lämmer, dass William Wallace zwo Meter groß ist, lernen wir in Braveheart, mit »Why so serious?« erklärt der Joker in The Dark Knight seine Entstellungen und Düüüüm-dü-dü-dü-dü-dü-düüüüüuu wurde von Klaus Doldinger komponiert.

Hier geht’s zur Hörbuch-Episode auf Youtube!

Nummer XII. Der Gehängte. Wie könnte man den noch nennen? Cliffhanger. Nein. Da denke ich an einen Kletterer, der sich oben an der Felskante festhält. Indiana Jones, der mithilfe seiner Peitsche aus dem Abgrund auftaucht. Die amerikanischen Soldaten, die am Point du Hoc die Klippen hinaufklettern, um Europa zu befreien. Band of Brothers. Fallschirme. Absturz. Nein. Der Gehängte hängt still. Lord of the Flies. Ich bin der Geist, der stets verneint. Aber er ist nur aufgehängt, nicht erhängt. Er hängt in der Luft. Matrix. Wie heißt der Schauspieler, den ich nicht mag, noch mal? John Travolta. Nein. Das war Pulp Fiction mit Uma Thurman, die mich mit dem Pagenschnitt immer an Cleopatra erinnert. Der andere. Egal. Passt eh nicht, der Gehängte ist am Knöchel aufgehängt. Unfreiwillig? Unfreiwilliges in der Luft hängen. Astronauten. Die Jobbeschreibung klingt zwar spannend, aber letztlich hängt man als Astronaut wahrscheinlich die meiste Zeit auch nur doof und schwerelos in einer kleinen Kammer rum. Wie in einem Uboot. Das Boot. It’s a Long Way to Tipperary. Düüüüm-dü-dü-dü-dü-dü-düüüüüuu. Falsche Richtung. Richtung! Der Gehängte hat keine Richtung. Er baumelt. Aber er hat Zeit. Wenn man eh nur so rumhängt … Kopfüber. Perspektivenwechsel. Man kann die Dinge plötzlich anders wahrnehmen. Betty Edwards, Garantiert zeichnen lernen: Zeichne Dinge auf dem Kopf. Es zeichnet sich etwas ab. Aber erst, wenn man in seinem Hin-und-Her-Gebaumel zur Ruhe kommt. Dann kann der Blick klar werden. Aber Ruhe. Ruhe kann echt verdammt schwerfallen. Muss man manchmal erzwingen. Hab ich im Urlaub gemerkt. Normandie und Meer und Sonnenschein. Nervenzusammenbruch durch Ruhe. Bei Phyllis Curott heißt die Karte Offering. Ein Opfer darbringen. Den Erstgeborenen. Etwas opfern. Sich opfern. Die Soldaten haben auch ihr Leben geopfert. So viele Kreuze und Steine. Ewige Ruhe. Auch nicht gut. Aber besser als Zombies. Worum ging es noch gleich? Ach ja, der Gehängte. Unfreiwillige Ruhe. Ihm sind die Hände gebunden. Schöne Ausrede! Tarantino. Knebel. Hannibal Lecter. Es reibt sich mit der Lotion ein. Gefangene in dunklen Löchern. Alle Gefangenen der Geschichte nutzen die erzwungene Ruhe zum Nachdenken. Zum Buddeln. Sie kommen als neue Menschen aus ihrer Gefangenschaft heraus. Uma Thurman in Kill Bill. Edmont Dantès im Graf von Monte Cristo. Die erzwungene Ruhe führt zum Perspektivenwechsel. Endlich ist Stille, die Nebel lichten sich. Nebel von Avalon. Excalibur. Transformation. In der erzwungenen Ruhe, im unfreiwilligen Stillstand, fallen die Schleier. Klarheit. Neuanfang. Neue Kraft. Wendepunkt. Der Eremit steht auch still. Aber freiwillig. Rückzug ist keine Gefangenschaft. Und er strebt keine Veränderung an. Wen haben wir noch in der Bande? Den Tod. Der steht ja gerade für den Wandel, den man vielleicht gar nicht wollte. Aber nicht bei Terry Pratchett. Der schon wieder. In meinem Kopf sitzt der Orang-Utan, der Bibliothekar der Unsichtbaren Universität von Ankh-Morpork, und mit jeder Assoziation, mit jedem neuen Begriff, schwingt er sich zum nächsten Bücherregal, zur nächsten Assoziation, und zieht manisch und völlig ungeordnet die nächsten Bücher heraus, schmeißt sie auf den Boden und niemand findet sich mehr zurecht. Soll das etwa Recherche sein? So ungefähr muss sich Google fühlen. Pause. Gassi gehen. Weg vom Laptop. Mir die tippenden Hände binden. Raus. Fokus. Die Gedanken zur Ruhe kommen lassen. Ich mache es wie der Gehängte. Ich versuche, mich, indem ich den Laptop schließe, zur Ruhe zu bringen, damit die überkochende Buchstabensuppe in meinem Kopf abkühlen kann und ein Wort zutage fördert. Einen Begriff. Und damit ich die Bilder von Soldatenfriedhöfen und das Gepfeife von Kill Bill wieder aus meinem Kopf kriege. Pustekuchen. Während die Hunde schnüffeln und Geschäfte erledigen, denkt mein Kopf (nicht ich – ich wollte mich doch entspannen – der Bibliothekar in meinem Kopf macht das) über die Gefangenen aus Literatur und Television und ihre Transformationen nach. Die Helden, so stark und so verwundbar mit ihren Lindenblättern im Drachenblut, die wie der Phönix aus der Asche von ihrem Tiefpunkt auferstehen. Helden. Heldenreise. The Hero with a Thousand Faces. Von … Campbell?* Hatte ich im Rahmen des Moduls Storytelling recherchiert und die verschiedenen Stationen der Heldenreise in Batman Begins herausgearbeitet. Der hängende Typ war übrigens auch nicht in Matrix, sondern in Mission Impossible. Campbell hat die Geschichten und Epen der Kulturen der Welt studiert und ist auf immer wieder gleiche Muster gestoßen. Die Heldenreise mit ihren Höhen, Tiefen, Versuchungen und Bösewichten scheint also ziemlich universell zu sein. Es tauchen immer wieder die gleichen Stationen und (Achtung!) Archetypen auf. Auch die Reise des Narren durch die Großen Arkana wird immer mal wieder als Heldenreise, als Hero’s oder Heroine’s Quest bezeichnet. Da sollte ich also auch noch mal nachforschen. Tom Cruise, der war’s.

* Kam ich da echt jetzt erst drauf?

In der Batman-Trilogie von Christopher Nolan (Nolan & Goyer, 2005) wird die Heldenreise überdeutlich. Der junge Bruce zieht überstürzt wie der Narr wütend und enttäuscht aus, um sich unter Kriminelle zu begeben. Er landet im Gefängnis (Aha!). Rettung kommt und er wird für die League of Shadows rekrutiert. Vor die Prüfung gestellt, einen Mann zu töten, jagd er den ganzen Laden in die Luft und kehrt geläutert nach Gotham zurück, um Gutes zu tun. Er sagt, als Mensch könne er das nicht. Er müsse zu einem Symbol werden. Er stellt sich seiner größten Angst und entscheidet sich für die Fledermaus. Ein Geschöpf der Nacht. Düster, geheimnisvoll, angsteinflößend. Nach den ersten idiotischen Flugversuchen reift der Narr mit jeder weiteren Prüfung mehr heran. In seinem Bruce Wayne-Playboy-Aufzug wirft Rachel ihm an den Kopf: »It’s not who you are underneath. It’s what you do that defines you« (Nolan & Goyer, 2005, 1:11:00). Warte. Projekte. Identität. So steht es in meinen Kleinen Arkana. Und es stimmt. Wer wir sind, sollte sich in dem ausdrücken, was wir tun. Dann ist unsere Identität stimmig. Die Schließung des Mind-Behaviour-Gap könnte man es wohl nennen. Integrität! Und später gibt er sich ihr zu erkennen: »It’s not who I am underneath but what I do that defines me« (Nolan & Goyer, 2005, 1:57:00). Der Kreis schließt sich. Er wird, in Campbells Terminologie, der Master of Two Worlds. Und er ist selbst zu einem neuen Symbol geworden. Er ist nicht mehr die Fledermaus, er ist Batman, dessen eigenes Zeichen über Gotham City strahlt. Ende? Nein. Lieutenant Gordon zückt die Joker-Karte. Ein Irrer treibt sein Unwesen und hinterlässt Narrenkarten an seinen Tatorten.

Neuanfang. Welcher Freak das ist, erfahren wir in The Dark Knight. Der Joker, der Narr, Heath Ledger. So verstörend, so rattenscharf, so jung gestorben. Er selbst hat den Film nie gesehen, dabei war es die beste Schurken-Performance in der gesamten Filmgeschichte. »Why so serious?« – die Botschaft des Narren. Gibt es eigentlich ein Batman-Tarot?

Schluss jetzt. Der Gehängte. Fledermäuse hängen übrigens auch über Kopf. Die schlafen so. Vor gefühlt hundert Jahren hab ich im Stern mal Fotos gesehen, bei denen der Fotograf Fotos von Fledermäusen auf den Kopf gestellt hat. Sie sahen plötzlich erschreckend menschlich aus. Und in Südamerika oder so gibt es eine Fledermausart, die Schokoladenfruchtzwerg heißt. Hilft mir aber gerade nicht weiter. An welcher Stelle der Heldenreise hängt der Held unfreiwillig in der Luft? An der fünften. Belly of the Whale. Der Held wird verschluckt und für tot gehalten. Ein Teil von ihm stirbt tatsächlich. Er überquert eine Schwelle. Campbell (2020) schreibt zum Verschlucktwerden: »This popular motif gives emphasis to the lesson that that passage of the threshold is a form of self-annihilation« (Part I, Chapter I: 5. The Belly of the Whale). Macht Sinn. Eine neue Stufe (der Erkenntnis, des Seins) erfordert immer, dass ich etwas Überkommenes in mir zurücklasse oder vielleicht sogar bewusst zerstöre. Meine alten Überzeugungen. Meine schlechten Gewohnheiten. Einen Teil meiner Identität, meiner eingeübten Story. Wie der Gehängte wechsle ich die Perspektive, um oder indem ich eine neue Identität annehme. Zurück zu Phyllis Curott: Ich opfere etwas. Soll ich den Gehängten einfach Bruce (Wenn dann wohl Der Bruce. Robert The Bruce. König der Aufständischen. William Wallace ist zwei Meter groß. Mel Gibson. Mad Max. Noch mehr Helden. Es hört nicht auf.) nennen und eine Fledermaus malen? Besser nicht.

Es hilft nichts. Der Gehängte bleibt namenlos und ich muss raus aus meinem Kopf. Raus aus meiner Schwert-Energie. Außerdem ist heute mein freier Tag. Ich muss selbst der Gehängte sein und die Bibliothek in meinem Kopf schließen. Hausputz. Was mit den Händen machen. Münzen. Geschirr spülen. Das entspannt mich. Dabei supercreepy Hörbuch hören, mich in eine Geschichte einsaugen lassen und so all die anderen Geschichten ausblenden. Auditive Scheuklappen.

Aber ist ja schön, dass alles, was ich jemals gehört, gesehen und gelesen habe, offenbar doch für irgendwas gut ist. In dieser Thesis und der Reise des Narren kommt alles zusammen. Ist das Kreativität? Wahrscheinlich.

Gespült, geduscht, gesaugt und den Bücherstapel statisch abgesichert. Die Heldenreise und die Narrenreise lassen mich nicht los. Ich hatte schon überlegt, den Narren Helden zu nennen, schon bevor mir Campbell wieder einfiel. Aber das passt irgendwie doch nicht recht. Außerdem sind der Narr und der Magier für mich die stärksten Archetypen und ich würde sie gerne nicht umtaufen. Der Narr ist der Anfang und der Magier in gewisser Weise das Ende, das Ziel. Oder, mit seiner Nummer I, der Beginn und der Ausblick auf das Ziel. Wie die Asse. Und: Wären wir nicht alle gerne Zauberer?* Aber wie wäre es, den Gehängten vorerst mal den Helden zu nennen? Why not, es wird sich später zeigen, ob es passt. Iteration, Iteration, Iteration.

Das ist ja überhaupt das Schöne an dieser Thesis. Irgendwo stand, man könne oder solle hier all das einbringen, was man während des Studiums gelernt hat. Nun, ich habe gelernt, (besser) mit meiner Kreativität umzugehen und diese Arbeit ist sicher auch eine Verarbeitung dessen.** Und indem ich hier gerade kreativ arbeite und meine eigene Kreativität möglichst bewusst beobachte, bewege ich mich selbst durch die Arkana, durch die Welt der Karten. Wenn ich meinen Job gut und gründlich mache, werden sie mir im Thesis-Prozess alle begegnen.***

Ich bin jetzt, in der zweiten Hälfte der Konzeptionsphase, schon nicht mehr der kreative Narr mit der fixen Idee, ein Tarot gestalten zu wollen. Von der Vollendung des Meisterwerks bin ich noch weit entfernt. Aber ich bin in meiner Heldenreise angekommen.

Stunden später. Andere Menschen sitzen jetzt schon auf der Couch, ich komme gerade von Rewe zurück, die Pizza war alle. Eine kurze Recherche zur Heldenreise hatte mich angefixt, Campbells 17 Stufen den 22 Großen Arkana zuzuordnen, um deren vorläufige Benennung endlich abzuschließen. Den Stufen entsprechend habe ich wieder meine Bücher quergelesen. Die neuen zu Visconti-Sforza und Marseille sind noch nicht da. In den anderen wurde ich mittelmäßig fündig. Rachel Pollack (2007) teilt die Großen Arkana in drei Stufen ein; gängiger ist meiner Meinung nach die Einteilung in zwei. Ich konnte ihrer Dreiteilung zuerst nicht viel abgewinnen: Sie nimmt den Narren, quasi als Protagonisten und als Tor zur Welt der anderen, raus. Es bleiben drei mal sieben Karten. Die ersten sieben, Magier bis Wagen, sind das Weltliche, das eher Offensichtliche. Die zweiten sieben von der Kraft bis zur Mäßigkeit sind die Innenschau und die Suche nach dem Selbst. Und die dritten, vom Teufel bis zur Welt, sind mythischer mit dem Ziel der Erleuchtung. (S. 22,23)

Kann und will ich dem zustimmen? Ich weiß es nicht. Aber die Zweier-Aufteilung macht mich auch nicht so recht froh und alle weiteren Aufteilungen, die ich austüfteln wollte (ich hätte irgendwas mit vier bevorzugt), haben nicht funktioniert. Und wenn wir schon bei Campbell und Storys sind, können wir das Ganze ja auch gut in drei Akte aufteilen. Das klappt seit über zweitausend Jahren. Die Aufteilung an sich ist mir gar nicht wichtig. Sie ist an dieser Stelle für mich nur Mittel zum Zweck, damit ich die Karten für mich sinnvoll strukturieren und damit auch benennen kann.

* Ja! Darum geht’s ja gerade!

** Oder eher eine Therapie, um lange verschüttete Traumata aufzuarbeiten …

*** F*ck you.

 

Also. 22 Karten, 17 Stufen, 3 Akte, 6 Tarotbücher. So ganz geht es auch nach viel Geschiebe und Getausche nicht auf. Die Großen Arkana folgen nicht dem Monomythos – aber sie sind auch nicht wahnsinnig weit entfernt und meine provisorische Zuordnung scheint mir ehrlich gesagt nicht weniger schlüssig als Rachel Pollacks Dreiteilung oder Phyllis Curotts Umkehrung. Oder Waites vertauschte Karten …

A.E. Waite hat für das Rider-Waite-Smith-Deck die Karten VIII und XI vertauscht. Vorher war die Reihenfolge von VIII bis XI Gerechtigkeit, Eremit, Schicksalsrad, Kraft; bei Waite und allem, was direkt darauf basiert, ist sie Kraft, Eremit, Schicksalsrad, Gerechtigkeit. Warum er das getan hat, hat er anscheinend nicht verraten. Mir scheint es unschlüssig und da ich das Rider-Waite-Smith-Tarot eh nie mochte, habe ich mich für die alte Reihenfolge entschieden. Die Crowley übrigens auch zugrundegelegt hat. Dort heißt die VIII (also Gerechtigkeit) Ausgleichung und die XI (also Kraft) Lust.

Ich lese also wieder kreuz und quer und rauf und runter und notiere das, was für mich im Kontext der Heldenreise Sinn ergibt, worin sich die Stufen einer Geschichte widerspiegeln. Ich freunde mich auch mit den drei Akten an. Pollacks Interpretation schmeckt mir immer noch nicht, aber wenn ich die einzelnen Akte mit ihren Geschehnissen so betrachte und an meine Hofkarten denke, dann ist der erste Akt der Weg des närrischen Lehrlings zum schaffenden Freigeist, der zweite der des Freigeists zur Koryphäe und der dritte der, auf dem sich die Koryphäe der Göttin annähert. In jedem Akt wird etwas gelernt und Gelerntes integriert. Der Narr, der völlig absichtslos begann, wächst mit seinen Aufgaben und bringt es so zur Vollendung seines Meisterwerks.*

Dann ist es Zeit einzukaufen und ich kann mich auch im Auto nicht auf mein Hörbuch konzentrieren. Aber allein der Ortswechsel hilft ja manchmal schon und mir kommt die Idee, dass ich die Großen Arkana tatsächlich als Geschichte erzählen kann. Die kurze Recherche heute brachte mal wieder zutage, dass wir Menschen Geschichten brauchen und dass es uns oft leichter fällt, mithilfe von Geschichten zu lernen. Geschichten und Archetypen. Das ist noch eine Anschlussrecherche wert. Vielleicht ist das genau das, was es braucht: konkrete Fragen und lebensnahe Impulse in den kleinen Arkana (die ja für Alltäglicheres stehen) und eine große Geschichte mit 22 Kapiteln für die Großen Arkana. Der User folgt dem Narren durch seine Heldenreise und begegnet mit ihm gemeinsam den ganzen anderen Gestalten. Kann das funktionieren?

* Das ist gut!

 

BÄM!

Dann fällt mir auf einmal siedend heiß ein, was ich vorher gelesen habe: Phyllis Curott (2020) hat es in ihrem Begleitbuch genau so gemacht. Sie erzählt die Geschichte des Narren, der bei ihr Pilgrim heißt und mal weiblich und mal männlich ist. Dass es mir erst jetzt auffällt, hat den einfachen Grund, dass ich glaube ich keinen der Story-Abschnitte komplett gelesen habe, auch wenn sie teils nicht einmal eine Seite lang sind. Sie sind für mich wenig greifbar. Die entsprechenden Abschnitte heißen Wisdom. Mal geht es stark um Pilgrim, Pilgrim geschieht etwas, Pilgrim erlebt etwas. Dann wieder werde ich als Leser direkt angesprochen und mit Weisheiten überflutet. Mich holt es nicht ab, mich reißt es nicht mit. Es ist zu schwammig.

Da lob ich mir das Adventskalender-Buch, das ich meinen Hunden vor ein paar Jahren gekauft habe. Hund und Katze feiern darin Geburtstag. 24 Tage lang gibt es die Fortsetzung der Geschichte, wie sie sich auf die Party vorbereiten. Hat man einen Tag (vor)gelesen, ist man schon gespannt, was am nächsten Tag passiert. Auch wenn die Geschichte jetzt nicht ultraspannend und voller unerwarteter Wendungen ist.

Ja, ich lese meinen Hunden Geschichten vor. Sie schauen auch gerne Fernsehen.

Die Idee gefällt mir erst mal sehr gut. 22 Kapitel der Narrenreise. Damit würden sich die Großen Arkana auch deutlich genug von den Kleinen unterscheiden. Und ich persönlich würde es, richtig umgesetzt, als bereichernd und stimmig empfinden, von einem Tarot nicht nur Fragen, Impulse, Ratschläge zu kriegen, sondern auch einfach eine Geschichte zu erfahren, die ich dann in meinem Kopf behalten und verarbeiten darf. Wie gut Geschichten im Gedächtnis bleiben, habe ich heute, während ich meine Gedankengänge notiert habe, sehr deutlich selbst erfahren dürfen. An dieser Umsetzung will ich mich versuchen!

Die Umsetzung wirft jedoch eine ganz andere Frage auf: Wohin mit der Geschichte? Die Ursprungsidee war ja, dass das Deck prinzipiell ohne Begleitbuch auskommt. Und von den Druckereien, auf die ich bisher in der Recherche gestoßen bin, bietet überhaupt nur eine einen Flyer/Einleger an. Ich glaube, maximal ein Booklet mit 32 Seiten. Das Booklet der Ocean-Karten hat auch 32 Seiten. Die Shakespeare-Karten etwas mehr. Reicht das? Eher nicht. Molly Roberts, Urheberin der Art Magick-Karten, hat es anders gelöst, soweit ich das sehe. Den Karten liegt ein 16-seitiger Einleger (mit erbärmlich winziger Schrift und grauenhaften Fonts) bei. Im gleichen Design, also offenbar zu den Karten gehörend, gibt es ihr Buch Art Magick: How to become an art witch and unlock your creative power. zu kaufen. Wäre das eine Lösung? Den Karten ein Poster mit einer tabellarischen Übersicht beilegen und separat ein Buch anfertigen? Oder weiter weggehen von der Idee des Tarot und die Geschichten auf den Kartenrückseiten unterbringen? No way, das ruiniert mein ganzes Konzept. Separat eine A6-Broschüre drucken lassen und sie den Karten beilegen?

Okay, die finale praktische Umsetzung ist wohl noch nicht geklärt. Aber mit Aufbau, Inhalt und Struktur der Karten bin ich für heute fast zufrieden. Zufrieden genug, dass ich jetzt endlich an meinem freien Tag Feierabend machen, Pizza essen und schlafen kann. Eine Creative Thesis ist kein Ponyhof.

Und? Kannst du noch folgen? Bist du noch da? Ich würde ja gerne versprechen, dass es in der nächsten Episode besser wird … Aber … Nein. Wird es nicht. Willkommen in der Welt des kreativen Wahnsinns. (Die Grinsekatze hatte recht.)

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