Ein frischer Blick auf die Bedeutung der Tarotkarten – und ihrer Beziehung zueinander! Passen die Großen Arkana zum Monomythos? Zur Odyssee? Und was bedeuten dann »schwierige« Karten wie die Fünfer? Und besonders der Hierophant / Hohepriester?
Diesen Fragen gehe ich hier auf den Grund, während die Narrengeschichte tasächlich Gestalt annimmt. Was hältst du von dieser Interpretation der Tarotkarten? Wie interpretierst du den Hohepriester? Lass doch mal einen Kommentar da!
Die Odyssee
Ich habe die Büchse der Pandora geöffnet. Eine Nur-mal-kurz-gucken-Recherche zu der Verbindung zwischen dem Monomythos, den Jungianischen Archetypen und dem Tarot ließ den Deckel auffliegen und wie die Tupperdosen-Lawine im Küchenschrank stürzten mir Jung, Freud, sogar Maslow, LSD-Experimente, Helden, Drachentöter und schließlich Zeus, Odysseus, Calypso und Pandora selbst entgegen.
Nicht verwunderlich; die Odyssee ist ja vielleicht die Heldenreise schlechthin. Hartman und Zimberoff beschreiben sie in The Hero’s Journey of Self-Transformation: Models of Higher Development from Mythology (2009) und weisen darauf hin, dass sie eigentlich nur die Heimreise ist. Die Schlacht ist geschlagen, der Held kehrt nach Hause zurück. Von wegen. Odysseus war zehn Jahre auf dem Rückweg. (S. 28) Ich bin versucht zu googeln, wie die Zuordnung der Gesänge der Odyssee zu den 22 Großen Arkana aussehen könnte. Hat das schon mal jemand versucht? Google findet zu verschiedenen Suchbegriffen nur ein brauchbares Ergebnis; ein Buch, dass die Charaktere aus James Joyce’ Ulysses in die 22 Großen Arkana überträgt. Der Kreis schließt sich. Der Ulysses steht ganz weit oben auf meiner Bucket List. Mehrmals angefangen, nie zu Ende gelesen. Dafür die Dubliners und das Portrait of the Artist as a Young Man und viel, viel über Joyce, meiner Meinung nach eines der größten Genies des 20. Jahrhunderts.
Aber diese Büchse machen wir jetzt nicht auch noch auf. Das Werk von Hartman und Zimberoff und Homer gibt meinen Story-Gedanken noch mal neuen Auftrieb. Im Abgleich mit dem Tarot (das weder im einen noch im anderen Werk eine Rolle spielt) wäre der Held eventuell schon in dem, was ich gestern als den ersten Akt definiert habe, siegreich. Beim Wagen (VII). Das passt. Mission accomplished. Alles Übrige wäre die Odyssee-mäßige Heimkehr mit Hindernissen. Ich muss aufpassen, dass ich mich jetzt nicht in der Büchse verliere, wie Odysseus von einer Ablenkung zur nächsten treibe.
Und ich muss die Arkana oder Elemente nicht den Jungianischen Archetypen zuordnen. Die Zuordnung der 16 Hofkarten zu den Persönlichkeiten des Myers-Briggs Type Indicators, der ja auch immer wieder mit Jung in Verbindung gebracht wird, ist übrigens ein alter Hut. Außerdem halte ich von solchen Persönlichkeitstests aus Erfahrung sehr wenig. Früher haben sie mich mal fasziniert, kannte man ja schon aus der Bravo, heute finde ich sie einengend und bevormundend. »Ich bin halt so und ich kann nichts dagegen tun – es steht in meinem Sternzeichen und in meinem Myers-Briggs-Test« – das geht gegen meine innersten Überzeugungen. Ja, ich finde zahlreiche Anteile meines Sternzeichens (Jungfrau, Aszendent Skorpion) und meines Myers-Briggs-Typs (INFP) in mir. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch ganz anders sein darf, wenn ich es will oder für richtig halte. Da sind mir interpretierbare archetypische Bilder (egal, wie man den Archetypen nun genau definiert und woher er kommt) mit deren Anteilen ich mich und meine Situation identifizieren kann, aber nicht muss, sehr viel angenehmer.
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Ich fass es nicht. Es passt mit erstaunlich wenig Hinken. 0 ist der Held, das Ego, I bis VII ist die Heldenreise zur Individuation (nicht unähnlich zu Pollacks Interpretation). Die VIII wäre die Assimilation der neuen Heldeneinsichten und -Fähigkeiten; IX ist der Weg des Eremiten, Askese und Abkehr von der Welt, und bei X setzt der Wind des Schicksals ein, die zweite Initiation, die Rückkehr beginnt. XI bis XIX sind die Lothophagen, Cyclopen, Hades, Circe & Hermes, die Sirenen, Scylla & Charybdis, Calypso, Poseidon & die Nymphe und Nausikaa. XX ist die Katharsis und Enthüllung der wahren Identität, bei der XXI schließlich werden, zurück daheim, die Freier aus dem Palast geworfen und die eigene Welt zurückerobert. Ich kann nicht glauben, dass bisher niemand die Odyssee-Tarot-Connection gezogen hat. Aber weder Google noch die Unibibliothek fördern etwas zutage. Ich erinnere mich auch nicht, in all den Tarotbüchern mal bewusst über Odysseus und seine Crew gestolpert zu sein. Seltsam.
Natürlich hilft mir Odysseus, dieser Spielball der Götter, nur bedingt weiter. Ihm passieren jede Menge Dinge, für einen Helden ist er erstaunlich fremdbestimmt. Doch mit jeder Station seiner Reise, mit jeder Katastrophe und jeder Dummheit, lernt er etwas und wächst als Mensch. Nun habe ich also die Odyssee, den Monomythos, die Hero’s Journey of Self-Transformation, eine Extra-Prise C.G. Jung und die Infos aus den Tarotbüchern. Das sollte reichen, um aus meinen Großen Arkana eine Geschichte zu stricken.
Durchbruch!
Remember the Porter
Ich spiele mit dem Gedanken, eine Voodoopuppe zu basteln und sie gelb-schwarz anzumalen. Visconti-Sforza- und Marseille-Tarot wurden heute Morgen in das Zustellfahrzeug geladen, der DHL-Mann war wohl auch hier, er hat aber keine Päckchen dagelassen. Das wird dir noch leidtun!
Dabei hätte ich die Decks und vor allem die Bücher wirklich gerne. Jetzt. Meine Geschichte zu den Großen Arkana ist in ihrer kürzesten und einfachsten Form geschrieben. Es ist erstaunlich, wie leicht das von der Hand geht, wenn man grob weiß, was zu passieren hat. Jeder von uns hat diese Geschichte schon tausendmal gehört: Der Narr ist aufgebrochen und war auf einem guten Weg, doch irgendwo bleibt er stecken, ist völlig verzweifelt, ruft korrekterweise aus »Ich bin ein Narr!« und da erscheint die gute Königin und hilft ihm dabei, die Hürde zu meistern, sodass er das Ziel seiner Reise doch noch erreicht. Aber natürlich stellt sich am Ziel heraus, dass es erst der Anfang ist, dass das richtige Abenteuer noch vor ihm liegt, die wahre Mission noch erfüllt werden muss! Und so bricht der Held auf, obwohl er sich selbst noch kaum bereit dazu fühlt.
Diese Muster sind nicht nur spannend und helfen mir, meine Karten inhaltlich zu strukturieren und selbst mehr über sie zu erfahren, sie geben mir auch die Erlaubnis, mich auf einzelne Aspekte zu fokussieren. Damit hatte ich Probleme. Das Tarot ist ja etwas Allumfassendes. Ich hatte also die ganze Zeit das diffuse Gefühl oder die diffuse Angst, ALLES in den Karten abbilden zu müssen. Alle Stufen, Facetten, Aspekte und Möglichkeiten der Kreativität und des Lebens und der ganzen Welt. Das ist nicht möglich. Durch den Story-Ansatz habe ich gelernt (oder bin dabei, zu lernen), dass das auch nicht nötig ist. Geschichten müssen nicht allumfassend sein. Dafür sind sie Geschichten: Der Leser oder Hörer oder Zuschauer darf selbst weiterdenken. Darf selbst entscheiden, dass er sich anders entschieden hätte als der Protagonist. Dass es immer(!) eine dumme Entscheidung ist, den außer Gefecht gesetzten Bösewicht am Boden liegen zu lassen und wegzurennen. Mach ihn fertig, hier und jetzt, sonst steht er wieder auf, auch wenn du ihn für tot hältst. Immer.
So hangele ich mich also an den Stufen der Geschichte meines Narren entlang. Mein Kopf ist schon einen Schritt weiter und baut die Geschichte aus. Er könnte an jeder Station eine Karte bekommen. Am Ende, der finalen Prüfung vor der ewigen Glückseligkeit, fehlt ihm aber eine. Er hat die Karten I bis XXI – aber der Magier hat gesagt, er bräuchte 22! Und da erkennt er, dass er die 22. Karte, die 0, die ganze Zeit hatte! Er trug sie in sich! Die Narrenkarte, die uns an Freude, das Einfache, an Leichtigkeit erinnert. Die uns erlaubt, einfach nur zu sein. Ende gut, alles gut. Amen.
Doch für diesen Schritt hätte ich gerne Einsichten in die alten Tarots und der DHL-Mann ist schuld, dass ich sie nicht habe. Ich bin so gespannt! Bei der Bestellung ist mir Trottel ein Fehler unterlaufen. Ich hatte mich irgendwann gewundert, dass ich noch keine Versandbestätigung erhalten habe. Etwas Forschung zeigte, dass ich die Bestellung nicht final abgeschlossen hatte. Na super! Und das eine Buch zum Tarot de Marseille war nun bei medimops nicht mehr zu haben. Also habe ich nach Alternativen gesucht. Es gibt nicht viele. Zumindest nicht auf Deutsch oder Englisch, auch wenn man den Suchbegriff umformuliert. Aber es gab L’aventure du Bateleur. Bateleur hatte ich in den Recherchen schon mal irgendwo gelesen … Google fördert zu dem Begriff Vogelfotos zutage – der Gaukler. Klar. Gaukler, Narr. Also das Abenteuer des Narren. Ich habe es bestellt und werde mich noch dafür verfluchen. Mein Französisch reicht für einfache Alltagsgespräche mit mäßigem Einsatz von Händen und Füßen aus. Aber nicht für ein Tarotbuch. Aber da muss ich jetzt durch. Irgendwann. Wenn der DHL-Mann seinen unverzeihlichen Fehler eingesehen hat.
Nachdem das Skelett der Geschichte soweit steht, widme ich mich wieder den Kleinen Arkana, die bisher nur vorläufige Titel und ein Thema passend zur Zahl haben. Was bedeuten diese Themen nun im Licht der Geschichte? Im Licht all dessen, was ich zwischenzeitlich aufgetan habe? Und was bedeutet das wiederum in Kombination mit den vier Farben? Um hier nicht zu weit abzudriften (ich habe ständig Angst, am Ende viel zu weit vom Tarot wegzukommen – oder zu nah am Original zu bleiben) nehme ich Hajo Banzhafs Tarotbuch zu Hilfe und gleiche meine eigenen Überlegungen und die Bibliothek in meinem Kopf mit den kurzen, supersimplen und etwas platten Interpretationen in diesem Buch ab. Versuche, den gemeinsamen Nenner zu finden. Und feile aus der Erkenntnis wiederum am Kernthema der Zahl, das auf seine Weise für das entsprechende Große Arkanum mit der Narrengeschichte und für die vier Kleinen Arkana dieser Zahl gilt.
……. stammt aus MacBeth.
Nicht uninteressant ...
Ich hatte ja schon erwähnt, dass vieles am Tarot gar nicht so logisch ist, wie es in den einleitenden Plattitüden der Tarotbücher immer gesagt wird. Ich will es besser machen. Nehmen wir die V als Beispiel. Bei Rider-Waite-Smith und Crowley ist es der Hierophant oder Hohepriester, früher hieß die Karte wohl auch mal Papst (dazu könnte ich mehr sagen, wenn der DHL-Mann mit seinen Päckchen sorgfältiger umgehen würde), bei Phyllis Curott heißt er Wisdom Keeper. Je nachdem, wo man nun liest, steht die Karte für einen Guru, für innere Weisheit, für Initiation in Mysterien, für Organisationen, für Systeme oder auch Gesellschaften, für Religion und Dogma, für einen Mentor, für das Über-Ich … im Zweifelsfall gleichermaßen für die Erleuchtung und das Finanzamt.* Der Hierophant war eine Karte, die ich nie mochte, weil ich sie einfach zu schlecht deuten konnte.
So. Und in den Kleinen Arkana ist die 5 jeweils eine Karte der Konflikte. Bei den Stäben ist es fairer Wettkampf, Kräftemessen. Banzhaf nennt sie Herausforderung, Crowley Streben. Den feurigen Stäben gefällt etwas Konkurrenz. Bei den Kelchen geht es zu wie auf einer Beerdigung. Banzhaf nennt die Karte Kummer, bei Crowley heißt sie Enttäuschung. Bei den Schwertern sieht man das Ende einer Schlacht. Banzhaf nennt sie Niedertracht (oft ist von unfair errungenem Sieg die Rede), Crowley Niederlage. Die 5 der Münzen nennt Banzhaf Entbehrung, Crowley seine 5 der Scheiben Quälerei. Wir sehen bei Rider-Waite-Smith zwei Bettler, Krüppel, Aussätzige (man verzeihe meine Wortwahl, aber die trifft es), die in der Nacht im Schnee vor einem erleuchteten(?) Kirchenfenster vorbeigehen. (Edit: Ich füge gerade die Quellenangaben ein. Falls ich noch irgendwo so einen Absatz finde, streiche ich ihn. Das kann man doch jetzt eh nicht mehr lesen. Das geht nicht, ich änder das, sie kommen jetzt alle hier in eine Klammer.) (Banzhaf, 2001, S. 82, 166, 110, 138; Krefting, 2020, S. 84, 98, 112, 126)
In sich sind die vier Krisenkarten fast stimmig. Der Kopfmensch in mir freut sich insgeheim, dass auch den fröhlichen Kelchen mal was Schlechtes widerfährt. Ich hatte das Thema der 5 in meiner schlauen Tabelle als Konflikt definiert. Wende ich nun die Qualitäten der vier Elemente an, müsste es bei den Stäben schon sowas wie mit dem Kopf durch die Wand heißen. Dass die Kelche in Trauer und Verzweiflung versinken, ist recht schlüssig. Die Schwerter wurden mal wieder diskriminiert. Auch der Verstand mag ja Herausforderungen. Bei inneren Konflikten kann es dann zum Brainf*ck kommen. Hin, her, sich nicht entscheiden, vielleicht verharren, etwas totdenken … Aber Niedertracht? Why? Und ein Konflikt im Materiellen kann im schlimmsten Fall Bettlertum, Aussatz und Qual bedeuten – auch wenn mein Begriff des Konflikts dann etwas zu schwach gewählt wäre. Er könnte aber ebenso das aufzeigen, was bei Waite die 4 ist: übertriebenes Sicherheitsbedürfnis. Sich abschotten. Horten. Hamstern, um so den Konflikt zu überstehen.
Bei den verschiedenen Elementen wird mit mindestens zweierlei Maß gemessen. Lautet das Thema Konflikt, müsste ich an alle Elemente die gleiche Frage stellen, zum Beispiel: »Wie reagierst du darauf?«. Die Stäbe sagen: »No problemo, ich bin bereit. Wo ist der Feind?«. Die Kelche kriegen Angst und zerfließen. Die Schwerter sind sicher: »Gib mir nur etwas Zeit zum Nachdenken – ich kann das lösen!« und die Münzen fahren Klopapier kaufen und schließen sich ein.
Oder ich stelle eine andere Frage: »Woher kommen Konflikte bei dir?« Nach zwanzig therapeutischen Sitzungen antworten die Stäbe: »Ich bin zu hitzig, will immer mit dem Kopf durch die Wand, ohne gründlich nachgedacht zu haben«. Die Kelche sagen (nach nur zwei Sitzungen): »Aus meinem Inneren, ich bin nicht im Einklang mit mir«. Die Schwerter überlegen noch, ob sie vielleicht zu viel denken, Schwierigkeiten mit der Entscheidungsfindung haben und deshalb erst ins Handeln kommen, wenn der Zug schon lange abgefahren ist. Und die Münzen wissen im Grunde, dass alles Streben und Schaffen nur oberflächlich ist und dass es mehr gibt, als das Auge sieht. Wesentlich ist aber, dass ich an alle die gleiche Frage stelle – und nicht jedem eine andere. Und den Antworten ein ähnliches Intensitätslevel zugrunde lege. Nicht beim einen Katastrophe und beim anderen einen blauen Fleck. Zu dem Schluss bin ich zumindest gekommen, auch wenn Mister Waite und Mister Crowley das anscheinend anders sahen und nur DHL allein weiß, was die alten Tarotkarten dazu sagen.
* Es gibt manchmal Satzfetzen, für die ich mir auf die Schulter klopfen möchte.
Der Hierophant öffnet die Tür. Oder auch nicht.
Kurz und gut: Die Fünfer der Kleinen Arkana sind so semi-schlüssig. Nehmen wir jetzt noch den Hierophanten/Hohepriester dazu. Wenn die Fünfer für Konflikt stehen, tut er das auch. Mitgehangen, mitgefangen. Ich habe ihn, um vom Religiösen wegzukommen, zuerst Tradition genannt. Dann denke ich vor ein paar Tagen über Curotts Wisdom Keeper, also einen Hüter der Weisheit, nach. Ein Hüter, ein Keeper, ein Schäfer, doch wieder der Papst. Keeper ist auch ein (Gefängnis-)Wärter, oha. Wen gibt es denn noch, der irgendwas bewacht und die Schlüssel trägt? Und irgendwie lande ich beim Porter aus MacBeth. Ein Torwächter. Er passt auf, wer kommt und geht. Öffnet die Tür – oder auch nicht. Obendrein ist er stets betrunken und lässt zweifelhafte Weisheiten vom Stapel (die in meinen Tagträumen dann von Schlumpfine aufgegriffen werden). In den Shakespeare Cards ist er den Narren zugeordnet. Spannend, denn wie der Narr ist auch der Porter immer da und wird nie gesehen. Hört immer zu, aber wird nie ernst genommen. Wie der Narr trägt er eine ganz eigene Weisheit in sich. Gefällt mir. Also taufe ich den Hohepriester Wächter. Und in seiner Funktion als Türsteher kann er durchaus einen Konflikt bedeuten.
Für mich mittlerweile zweifelsfrei ist der Hierophant, der Wächter, das, was im Monomythos The First Threshold, die erste Schwelle, ist. Der Held muss die Schwelle überqueren und an dieser Stelle steht oft irgendeine Prüfung an. Das kann eine schwierige Initiation sein. Mir kommen schlagende Verbindungen und düstere Freimaurerlogen in den Sinn. Aber vielleicht will der Held ja gar nicht hinein (in die Verbindung, die Loge, den Tempel), sondern einfach nur hindurch. Oder hinaus. Wir alle kennen irgendwelche Geschichten, wo ein Wächter überlistet oder befreundet werden muss, damit man tatsächlich oder sinnbildlich durch die nächste Tür gehen kann. Diese Wächter, Porter, Wachtposten, an denen man vorbei will, sind ganz und gar nicht päpstlich oder priesterlich – oft genug sind sie sogar ziemlich dämlich und selbst halbe Narren. Nicht nur der volltrunkene Porter in MacBeth, sondern zum Beispiel auch Mord, Tyrions trollhafter Gefängniswärter in Game of Thrones. Tyrion, selbst eine Art Narr (in den Song of Ice and Fire-Büchern schließt er sich zwischendurch anderen Kleinwüchsigen in einer Gauklertruppe an, in der HBO-Serie wurde der ganze Handlungsstrang leider entfernt), hat alle Mühe, seinem Wärter klarzumachen, dass er ihn mit Gold entlohnen wird, weil dieser so strohdumm ist, dass man sich fragt, wer jemals auf die Idee kam, ihm einen Schlüsselbund in die Hand zu drücken.
So, nun gibt das ganze Sinn. Wenn ich irgendwo hinein, hinaus oder hindurch will und diese Schwelle bewacht wird, dann habe ich auf jeden Fall einen Konflikt am Hals. Ich stehe vor einer Prüfung. Die Kleinen Arkana fragen, wie man auf solche Prüfungen reagiert, auf das Nicht-weiterkommen, auf die Hürde, die Schwelle. Die Stäbe sind zuversichtlich, die Kelche brauchen Zuspruch an ihr Selbstvertrauen, den Schwertern kann man erklären, dass wir die größten Kämpfe immer mit uns selbst führen und den Münzen, dass sie alles haben, was sie brauchen. No Klopapier needed. Alles ist gut. Und der Narr? Der Narr, der an dieser Stelle noch glaubt, dass er die Elemente niemals meistern wird (ähnlich wie Löwe, Blechmann und Vogelscheuche im Zauberer von Oz) tut das einzige, was er richtig gut kann. Er schlägt ein Spiel vor. Er spielt. Er gewinnt. Er gewinnt nicht nur das Spiel, er gewinnt auch den Wächter. Dieser ist verblüfft und erstaunt von des Narren Können und lässt ihn hindurch. Wie Circe gibt er ihm sogar noch etwas Nützliches für die nächsten Stationen mit auf den Weg.
Damit bedeutet der Wächter, der neue Hierophant, als Karte sowohl Konflikt als auch Schwelle. Hier geht es weiter, hier gibt es etwas zu lernen. Es gilt, sich zu beweisen, und nach der Schwelle wartet Größeres. Die Schwelle kann der Eintritt in den Tempel auf dem Weg zur Erleuchtung sein, sie kann aber auch heißen, dass man sich selbst überwinden muss, den nächsten Schritt zu gehen. Vielleicht ein großer Leap of Faith, vielleicht auch einfach nur der Tritt in den eigenen Hintern, die Steuererklärung zu machen. Wie dieser innere oder äußere Konflikt ausgeht, ob man die Schwelle passiert oder nicht, wird offengelassen. Hier ist der User selbst gefragt. Macht er es wie der Narr, dann besinnt er sich auf sich selbst und seine Fähigkeiten und springt.
……. ähm. ja. Game of Thrones Serie und die zugrundeliegenden Bücher …
Soweit der Status quo. Der Narr tingelt durch seine märchenhafte Reise und begegnet archetypischen Situationen und Gestalten, die für gewöhnlich in heldenhaften Geschichten vorkommen. Er wächst mit jeder Karte und stellt am Ende fest, dass er selbst die zweiundzwanzigste Karte, das Fünfte Element ist. Ohne ihn und seine Narrenhaftigkeit ist die Welt nicht komplett. Ohne ein bisschen Narrentum sind wir alle nicht komplett, egal, was wir sonst noch an Tugend und Erfahrung in die Waagschale werfen können.
Die Kleinen Arkana befassen sich nicht mit Archetypen und Geschichten, sondern damit, wie wir im echten Leben auf den vier Ebenen mit den verschiedenen Stufen unserer eigenen Heldenreise umgehen, darauf reagieren, daraus lernen und daran wachsen.
Ich bin mit dieser Zuordnung noch nicht fertig. Es geht drei Schritte vor und zwei zurück. Passt dieser oder jener Begriff? Würde der nicht eher dorthin passen? Geht es wirklich darum? Ist das nicht zu weit weg vom Tarot? Und so weiter. Iteration. Und das ist okay. Ich muss mich jetzt noch nicht festlegen. Ich darf ausprobieren, blättern, denken, ändern. Aber ich habe jetzt zumindest einen Rahmen, den ich füllen kann. Ein Raster, an dem ich mich orientieren kann. Ich hänge nicht mehr in der Luft.
Na, was meinst du? Lassen sich die Karten so interpretieren? Ergibt die Narrengeschichte Sinn? Und, was mich am meisten interessiert: Wird die bedeutung des Hohepriesters, des Wächters, jetzt vielleicht klarer für dich? Schreib es in die Kommentare!


