Der Man in the Arena
Und die Kritiker auf den billigen Plätzen
Vor knapp 112 Jahren hat Theodore Roosevelt, damals schon nicht mehr Präsident, eine Rede gehalten, die heute noch nachklingt. Bis vor zwei Wochen kannte ich sie nicht. Ich hab ein Zitat daraus in Dare to Lead von Brené Brown gelesen – die ich auch bis vor zwei Monaten nicht kannte. (Du kennst sie auch nicht? Dann schau dir ihren TED Talk zu Scham und Verletzlichkeit an.)
Zurück zu Roosevelt. Der sprach damals in Paris vom „Man in the Arena“:
„It is not the critic who counts; not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could have done them better. The credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is marred by dust and sweat and blood; who strives valiantly; who errs, who comes short again and again, because there is no effort without error and shortcoming; but who does actually strive to do the deeds; who knows great enthusiasms, the great devotions; who spends himself in a worthy cause; who at the best knows in the end the triumph of high achievement, and who at the worst, if he fails, at least fails while daring greatly, so that his place shall never be with those cold and timid souls who neither know victory nor defeat.“
Oder auf Deutsch:
„Nicht der Kritiker zählt; nicht derjenige, der darauf aufmerksam macht, wie der Starke fällt oder wo der, der anpackt, es besser hätte machen können. Die Anerkennung gebührt dem, der tatsächlich in der Arena steht, dessen Gesicht staubig und verschwitzt und voller Blut ist; der sich wacker bemüht; der sich irrt, der wieder und wieder scheitert, weil es kein Bemühen ohne Fehler und Schwächen gibt; aber der sich tatsächlich bemüht, Taten zu vollbringen; der großartige Begeisterung, großartige Hingabe kennt; der seine Kraft auf eine ehrenwerte Sache verwendet; der im besten Falle am Ende den Triumph einer großen Leistung kennt und der, im schlimmsten Falle, sollte er scheitern, zumindest bei einem kühnen Versuch scheitert, so dass sein Platz nie bei den kalten und furchtsamen Seelen ist, die weder Sieg noch Niederlage kennen.“
(Beide zitiert nach Wikipedia.)
Fotoshooting: Für mich definitiv ein Arena-Moment.
Fotograf: Christian Nies.
Traumkiller
Wo siehst du dich? Als Man IN the Arena mit Staub und Schweiß und Blut im Gesicht – oder auf der Zuschauertribüne mit einem Kissen im Rücken und einem Prosecco in der Hand? Na ja, du liest diesen Blog. Also gehe ich davon aus, dass du in der Arena stehst oder gerade dabei bist, von den billigen Plätzen aufzustehen und deinen Weg in Richtung Staub zu gehen. Sollte ich falschliegen: Schwenk weiter deinen Prosecco, klick weg und lies lieber die neue Wendy.
Niemand braucht die Kritiker auf den billigen Plätzen. Hattest du schon mal eine coole Idee, einen geilen Plan, einen Traum, an dem dein Herz hing … und dann hast du jemandem davon erzählt und die Antwort war: „Hm. Aber meinst du nicht, es wäre vielleicht besser, wenn …“ Und peng. Aus der Traum.
Wenn du deine Träume nicht bereits im Geburtskanal um die Ecke bringen willst, überleg dir gut, mit wem du sie teilst. Menschen, die nicht selbst in der Arena ihren Mann stehen, sind da einfach nicht die richtigen Ansprechpartner.
Leider haben die Kritiker auf der Tribüne auch die Angewohnheit, dir völlig ungefragt ihren Senf aufzutischen. Achte doch die nächsten sieben Tage mal darauf, wie oft dir jemand, der in keiner Weise qualifiziert ist, seine Einschätzung zu deinen persönlichen Angelegenheiten aufdrückt. Vielleicht eine Entscheidung, die du getroffen hast, oder eine Investition, die du getätigt hast, oder ein Vorsatz, den du für das neue Jahr gefasst hast.
„Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“
„Das ist aber ganz schön teuer, oder?“
„Aber bringt das denn was?“
Und das ist noch die nette Variante, bei der man durchaus eine Art von Wohlwollen unterstellen kann. Vielleicht will dich jemand einfach etwas unbeholfen vor einer idiotischen Entscheidung bewahren.
In meiner Erfahrung tut diese pseudowohlgemeinte Durch-die-Blume-Kritik tatsächlich oft genau das: Sie bewahrt dich vor Entscheidungen. Ob idiotisch oder nicht, ist egal. Der Grat zwischen idiotisch und brillant ist ja bekanntlich sehr schmal.
Die Angst vor der Niederlage
In der Arena stehen, fallen, anpacken, irren, scheitern, sich hingeben … das kann nur jemand, der den Mut hat, eigene Entscheidungen zu treffen und zu seinen Entscheidungen zu stehen. Am Ende winken Sieg oder Niederlage. Erfolg oder Scheitern.
Niederlage und Scheitern klingen etwas düster, etwas zu sehr nach Gladiator, schon klar. Aber nennen wir es doch beim Namen: Wenn wir uns um etwas bemüht haben, alles gegeben haben, sei es im Beruf, im Privaten oder im Romantischen, und wir bekommen nicht das erhoffte Ergebnis, dann sind wir gescheitert – oder zumindest fühlt es sich erstmal so an. Du kennst das. Ich kenn das. Wir alle kennen das.
Die Niederlagen sind als Man in the Arena unausweichlich. Sie gehören zum Leben dazu.
Unerfüllte Träume.
Unerreichte Ziele.
Gescheiterte Projekte.
Gebrochene Herzen.
Es gibt natürlich eine Möglichkeit, sich vor all diesen Abgründen zu schützen: Auf der Tribüne bleiben und am Prosecco nippen. Wenn ich keine Träume habe, werde ich nie darunter leiden, dass sie sich nicht erfüllen. Wenn ich keine Ziele habe, muss ich mich nie schlecht fühlen, weil ich sie nicht erreiche. Wenn ich keine Projekte habe, muss ich mich nie schämen, weil ich sie in den Sand gesetzt habe. Und wenn ich mein Herz verschließe, muss ich niemals fühlen, wie es in tausend Scherben zerbricht. Autsch. Wenn ich gar nicht richtig lebe, muss ich vielleicht nicht mal Angst vor dem Tod haben.
Guter Plan? NEIN!!!
Halb leben und sicher sterben
Nur halb zu leben und den anderen zuzugucken ist keine Option. Der Sinn des Lebens kann nicht darin bestehen, hier möglichst sicher und unbeschmutzt durchzukommen und am Ende doch zu sterben. Denn, Achtung, auch von der Tribüne kommt man am Ende nicht lebend runter.
Wir alle hatten irgendwann mal Ziele, Träume, Wünsche, Pläne. Und zwar nicht drei Prozent mehr Gehalt und fünf Prozent weniger Körperfettanteil. Wir wollten Astronauten oder Ballerinas werden (Ja, total sexistisch, ich weiß. Ich wollte Schornsteinfeger werden.), wir wollten um die Welt reisen, wir wollten ein richtig fettes Auto und einen Gaul, auf dem vielleicht auch noch ein Prinz hockt. Wir wollten Superstars werden und die Welt retten.
Und jetzt so?
[Westernambiente. Leere Straße. Ein Tumbleweed-Ball rollt durch das Bild.]
Das ist total in Ordnung. Jeder darf seinen eigenen Lebensweg wählen und selbst entscheiden, um welchen Einsatz er spielt. Ob er in die Arena geht oder nicht. Ob er richtig leben oder sicher sterben will.
Die scheuen Seelen
ABER wenn du in der Arena stehst, lass dir dein Spiel nicht von den Buh-Rufen von der Tribüne vermiesen. Lass dich in deinen Entscheidungen nicht von Menschen bremsen, die einfach nur sicher durchkommen wollen oder die zumindest nicht in deiner Arena stehen.
Wenn du aktiv nach Rat oder Feedback fragst, geh zu den Menschen in deiner Arena. Zu denen, die dir im Fall der Niederlage den Staub, den Schweiß und das Blut aus dem Gesicht wischen und dich wieder auf die Füße stellen. Die dich anfeuern und deinen Triumph von ganzem Herzen mit dir feiern.
Und den Senf, den du ganz ungefragt von den billigen Plätzen bekommst? Lerne, ihn zu überhören. Auch wenn es der ehrlich besorgte Rat deiner lieben Tante Gretel ist. Alles, was deine Entscheidungen behindert, behindert deinen Flow, behindert dein Leben. Ernsthaft, wenn Tante Gretel ansetzt zu „Aber meinst du nicht, es wäre vielleicht besser, wenn …“, steck dir die Finger in die Ohren und summ Eye of the Tiger.
Hör denen zu, die dich zu eigenen Entscheidungen – wie immer die ausfallen – ermutigen. Nicht denen, die dich vor Entscheidungen bewahren wollen. Sonst endest du selbst auf der Tribüne bei den scheuen, kalten Seelen, die weder Sieg noch Niederlage kennen.
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