Selbstschutz und Grenzen setzen
Der Begriff „Schutz“ ist diese Woche bei mir in ganz vielen verschiedenen Situationen und Zusammenhängen aufgetaucht. Ich wollte nur kurz im Journal was dazu schreiben, weil ich nicht wusste, worüber ich sonst schreiben sollte – aber dann ist doch ein kompletter Blogartikel draus geworden. Einfach so runtergeschrieben, ohne viel Tam-Tam. Sieh’s mir also nach, falls das gute Stück nochmal eine Überarbeitung braucht.
Diese Woche bin ich unfassbar ausgelaugt und das hat in letzter Instanz etwas damit zu tun, dass ich nicht gut auf mich aufgepasst habe, dass ich keine Grenzen gesetzt habe, dass ich mein Mojo nicht geschützt habe.
Die mächtige Enttäuschung
Eins meiner persönlichen Grenzprobleme heißt „Jessica, kannst du mal grad …“. Ich freue mich, wenn ich was für andere tun kann, ich helfe gerne und ich hasse es, andere zu enttäuschen. Leider versteht ein Teil von mir die Sache mit der Enttäuschung manchmal falsch. Es gibt da zwei Varianten.
1. Zuverlässigkeit: Du hast etwas zugesagt und dann hältst du dich auch dran. Tust du es nicht, ist der andere zu Recht enttäuscht.
2. Erwartung: Jemand erwartet irgendetwas von dir und ist enttäuscht, wenn du die Erwartung nicht erfüllst.
Nummer 1 wird ein Problem, wenn du dazu neigst, Dinge zuzusagen, die dich später in die Bredouille bringen. Du kannst nicht fünf Einladungen für Heiligabend zusagen – du wirst nämlich vier Gastgeber enttäuschen. Ein hausgemachtes Problem.
Nummer 2 funktioniert unter Umständen ganz ohne dein Zutun. Menschen erwarten immer gewisse Dinge voneinander. Weil es die Konvention so vorgibt, weil es die Erfahrung gezeigt hat, weil sie glauben, dass es so sein müsste oder weil sie einfach unverschämt sind. Gibt’s auch.
So wird es vielleicht noch deutlicher: Ent-Täuschung heißt ja im Grunde, dass eine Täuschung aufgeflogen ist. Bei Nummer 1, wenn du etwas zugesagt hast und dann nicht aufkreuzt, hast du den anderen getäuscht. Bei Nummer 2, wenn der andere einfach von etwas ausgegangen ist, hat er sich selbst getäuscht. Das sollte gar nicht dein Problem sein – wenn du so ähnlich gestrickt bist wie ich, machst du es aber zu deinem Problem und versuchst, die Erwartungen anderer um des lieben Friedens willen zu erfüllen. Auch wenn es dir nicht guttut.
Bleiben wir beim Heiligabend-Beispiel. Der Weihnachtsstress entsteht doch für viele erst dadurch, dass Mutti, die Schwiegereltern, Tante Erna, Opa Georg und deine Schwester in ihrer Bilderbuchdoppelhaushälfte alle ERWARTEN, dass du mit ihnen Weihnachten feierst.
Und jetzt sag mal aus heiterem Himmel: „Nö.“
Großes Geschrei, wilde Enttäuschung. Ausgesprochen oder nicht. Wie kannst du nur. Wie unsozial von dir, die Familie so im Stich zu lassen. Wie egoistisch. Na ja, Tante Erna hat ja schon immer gewusst, dass mit dir irgendwas nicht stimmt.
Zehn zu eins ist dein Nein nicht einfach nur ein Nein. Es ist der Beginn des Familiennotstands und du darfst dich in drei Jahren noch dafür rechtfertigen, dass du nicht das gemacht hast, was andere von dir erwartet haben. Dass dein „Nein, ich möchte nicht“ einfach akzeptiert wird, ist unwahrscheinlich. Ja, warum denn nicht? Aber es war doch die letzten Jahre immer so schön. Aber Tante Erna hat extra Plätzchen gebacken. Und die Kinder würden sich doch so freuen …
Also bedank dich gefälligst für die Plätzchen, die du niemals haben wolltest.
Höflichkeit und Verantwortung
Bei mir gibt es diesen Weihnachtszinnober zum Glück nicht, dafür kommt das gleiche Muster im Alltag tausendfach vor. Und ein beachtlicher Teil von mir möchte eben niemanden enttäuschen, keine Scherereien machen, keinen Groll hervorrufen. Blöd nur, dass ich von zu viel Erwartungen erfüllen meine Energie verliere. Ich verliere mich selbst, ich verliere mein Mojo.
Ich lasse mich aus Höflichkeit noch viel zu oft in Gespräche verwickeln, die ich gar nicht führen will. Ich sage bei „Jessica, kannst du mal grad …“ noch viel zu oft zähneknirschend Ja. Ich schütze meine Grenzen immer noch nicht genug und fühle mich als Ergebnis völlig ausgelaugt. Ich übe mich darin, unhöflicher zu sein und stattdessen lieber mein Mojo zu schützen. Oft klappt es, manchmal nicht.
Ich habe mal irgendwo gelesen oder gehört, dass jedes Nein zu anderen ein Ja zu dir selbst ist. Klingt erstmal nicht nett, ist aber viel Wahres dran. Dabei geht es natürlich nicht um die Jas, die du aus vollem Herzen sagst, sondern um die, die du nur anderen zuliebe sagst. Aus Höflichkeit. Um niemanden zu enttäuschen. Um keine Szene zu machen. Um des lieben Friedens willen. Damit lässt du zu, dass andere deine Grenzen überschreiten. Ja, andere zu enttäuschen, vor den Kopf zu stoßen, ist nicht schön. Aber sind wir ehrlich: Wir haben immer die Wahl, ob wir uns den Erwartungen der Welt fügen wollen oder nicht. Wir dürfen eine Entscheidung treffen.
Entscheidung? Hilfe!
Und wir müssen die Entscheidung treffen. Sagen wir das Weihnachtsessen bei Tante Erna zu oder ab? Enttäuschen wir Tante Ernas Erwartungen oder erfüllen wir sie? Hässliche Entscheidung, denn Tante Erna ist total gut darin, einem ein richtig schlechtes Gewissen zu machen. Es gibt tausend Gründe, warum sich so viele Menschen vor Entscheidungen drücken. Und ich glaube, einer davon ist die Enttäuschung der anderen.
Wir entwickeln Strategien, um uns davor zu schützen, um also die Entscheidung nicht zu treffen oder zumindest die Verantwortung dafür nicht zu übernehmen.
Auf Platz 1 steht derzeit wohl die Stress-Ausrede. Es ist gesellschaftlich total okay, den dementen Opa Georg an Weihnachten nicht im Altenheim zu besuchen, weil man gerade so viel Stress hat und einfach nicht dazu kommt. Weil die Arbeit so anstrengend ist. Weil man so viele Überstunden machen muss. Ihn nicht zu besuchen, weil man ihn – dement oder nicht – einfach noch nie leiden konnte, klingt dagegen so richtig assi. Dann lieber die Arbeit und den Stress vorschieben. „Ich würde ihn ja gerne besuchen, aber gerade ist es einfach so stressig, es geht nicht.“ Es ist also gar keine eigene Entscheidung gewesen, es ging einfach nicht anders. Ich habe keine Wahl, das Universum ist schuld, mach mich nicht dafür verantwortlich.
Platz 2 ist die Taktik der Unverbindlichkeit. Statt einem Ja oder einem Nein kommt dann ein „Mal sehen“ – nur, dass darauf nie eine Fortsetzung folgt. Wenn du mich fragst, ob ich Heiligabend mit dir feiere, erwartest du zu Recht eine Antwort. Aber statt dir mit einem klaren Ja zuzusagen oder dir mit einem klaren Nein abzusagen, sage ich „Mal sehen …“ und halte mir fein alle Türchen offen. Vielleicht kommt ja noch eine bessere Einladung. Oder vielleicht weiß ich im Grunde schon, dass ich Weihnachten unter keinen Umständen mit dir und deinen grölenden Kindern feiern will. Aber natürlich bin ich zu höflich (feige?), um das auszusprechen. Also vertröste ich dich mit „Ich muss mal gucken …“. Achte mal drauf, wie häufig das vorkommt.
Wie gesagt, beides sind einfach Strategien, die meiner Meinung nach im Kern dem Selbstschutz dienen. Aber beide haben verheerende Konsequenzen. Bei Nummer 1 ist es die Geschichte, die du dir damit selbst erzählst: „Ich bin so gestresst, dass ich nicht mal Zeit für Opa Georg habe“. Baaaah! Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich. Und wenn man sich für Opa Georg keine Zeit nimmt, dann ist er einem (jetzt gerade) weniger wichtig als andere Dinge. Das ist die ehrliche Antwort. Dir selbst eine gesellschaftlich akzeptierte Lüge vorzulügen, ist zum Kotzen. Außerdem wirst du garantiert immer gestresster, wenn du ständig aller Welt erzählst, wie gestresst du bist. Adieu, Mojo.
Nummer 2 finde ich persönlich noch schlimmer. Nicht nur für das Gegenüber, das im Unklaren gelassen wird – sondern vor allem für dich selbst. Mit jedem „Mal sehen …“, „Ich muss mal gucken …“ und so weiter öffnest du einen Loop, den du irgendwann wieder schließen musst. Bis dahin verfolgt er dich nämlich mit Gedanken wie „Ich müsst ja auch mal …“, „Ich wollt ja noch …“, „Ich muss unbedingt mal wieder …“ – das ist Brainfuck hoch zehn. Eine Entscheidung, ein klares Ja oder Nein, schließt den Loop und damit gegebenenfalls auch deine Grenze. Nach einem „Mal sehen …“ bleibt die Grenze offen – da darf man sich nicht wundern, wenn irgendwer sie überschreitet. „Mal sehen …“ ist die reinste Einladung zur Grenzüberschreitung und der ultimative Mojo-Killer.
Protect your Mojo!
Was hat es jetzt also mit dem Mojo auf sich? Ursprünglich war ein Mojo wohl mal eine Art Talisman – ich hab den Begriff zum ersten Mal bei Austin Powers gehört. Und ich mag das Wort, es klingt sexier als „magische Lebensenergie“, aber genau das meint es für mich. Deine Power. Dein Selbst. Deinen Selbstwert. Deine Entschlossenheit. Etwas in der Richtung. Wenn du voller Elan und Tatendrang bist, wenn du dich gut fühlst, dann ist dein Mojo voll da. Wenn du völlig down und ausgelaugt bist, dann ist dein Mojo hinüber. Dein Mojo ist das, was es in und vor der Welt da draußen zu schützen gilt. Dein Mojo ist deine Essenz. Und damit sich nicht jeder nach Herzenslust an deinem Mojo bedient, braucht es klare Grenzen. Klare Entscheidungen für dein Mojo – auch wenn das Entscheidungen gegen die anderen sind. Jedes Nein zu anderen könnte ein Ja zu deinem Mojo sein.
Wie war das bei dir diese Woche? Hast du etwas getan, das dein Mojo gestärkt hat? Oder hast du brav Ja gesagt, um keine Szene zu machen? Konntest du zu irgendetwas aus vollem Herzen Ja sagen? Und welches Nein zu anderen war diese Woche ein Ja zu deinem Mojo?
Lass gerne einen Kommentar da und pass gut auf dein Mojo auf!
Gefällt mir, Dein Artikel zum Mojo! Den Begriff kannte ich nicht, dachte erst an eine balearische Mayonnaise oder einen karibischen Drink, aber Mojo hat was!
Ich stimme Dir absolut zu, jedes Nein zu anderen ist ein Ja zu Dir selbst oder auch „Nein ist ein vollständiger Satz!“ das muss man lernen, zur Not üben, denn dem kleinen Mädchen wurde ja schon immer gesagt, dass es sich nicht (trotzig) mit einem klaren Nein gegen die Erwachsenen wehren darf. Es solle doch bitte brav sein, sonst sind Onkel, Tante, Opa doch traurig und haben dich nicht mehr lieb…
Tja, jahrzehntelang brav funktioniert und dann sitzt Du da mit einem Energielevel, der bei einem EKG zum Stecker ziehen veranlassen würde.
Früher war man der Meinung, ein Akku sollte sich erst komplett entleeren, bevor man es wieder auflädt. Heute empfiehlt man eine Ladung zwischen 40 bis max. 80% Akkuladung. Sollte man auch auf das Mojo umlegen und rechtzeitig für Ladung sorgen! Das funktioniert zum Beispiel super, wenn man zwei Batterien gleichzeitig lädt. In diesem Sinne, vielleicht mal einen Mojito?
@Claudia: Jep, ich glaube auch, dass Mädels da nochmal stärker betroffen sind. Immer schön brav und höflich sein und die eigenen Belange hintenanstellen. Dafür haben die Jungs andere Malässen. 😉
Das eigene Mojo, den inneren Akku, zu schützen, ist sooo wichtig – denn sonst hilft irgendwann wirklich nur noch die Mojito-Infusion.